
Daran kann man schon leiden, wenn man will!
Rund 50 Prozent der Menschheit leben mittlerweile in Städten. Das heißt, die anderen 50 Prozent leben weiterhin auf dem Land. Bei allem Fokus auf die Chancen und Probleme des Urbanen darf dieser Anteil der Bevölkerung nicht vergessen werden, zumal er den mit Abstand größten (Kultur-) Flächenverbrauch hat. Um auf diese Probleme aufmerksam zu machen, gründete Andreas Koop das interdisziplinäre Festival »Stadt.Land.Schluss«. Schließlich ist er davon überzeugt, dass fast jeder Bürgermeister in einem Dorf mehr gestaltet als ein Designer.
Edgar Eller: Wie kommt man als Gestalter dazu, ein transdisziplinäres Symposium zum Thema »ländliche Qualitäten« abzuhalten? Andreas Koop: Das ist eine gute Frage! Im Grunde ist es die konsequente Anwendung dessen, was ich in designkritischen Texten selbst immer wieder fordere: eine Ausweitung des Medienbegriffs. Also das Weiterdenken über Broschüren oder Websites hinaus, wie auch über die räumliche Gestaltung. Jenseits von Kommunikat oder Produkt gibt es mehr, beispielsweise die (künstlerische) Intervention, die soziale Skulptur oder eben einen Kongress, eine Veranstaltung. Parallel dazu gab es aber auch noch einen ganz anderen Aspekt: Ein Buch, das nicht um alles in der Welt fertig werden will! Das soll(te) über eine Art »werte-orientierte« Gestaltung gehen - also wie man auf Grundlage von (universellen) Werten gestalten kann, und wie man andererseits damit auch wieder Werten Gestalt geben kann. Jedenfalls kam mir irgendwann der Gedanke: Vielleicht ist ein Buch gar nicht das beste Medium, sondern eine Veranstaltung - wo eben Menschen zusammenkommen, sich treffen, austauschen und etwas mit »hinaus« nehmen, was sich lohnt weiterzutragen. Daraus entstand dann »Stadt.Land.Schluss.« – mit der abenteuerlichen Vorlaufzeit von insgesamt sechs Monaten und ohne jede eigene Erfahrung. Bei dem wiederum war mir ein weiterer Aspekt wichtig, den ich gerade bei Studierenden mantraartig wiederhole: Alleine werden wir es nicht schaffen! Nicht als Person, nicht als Profession. Das haben im Grunde auch alle Disziplinen verstanden - deshalb muss man sie überwinden, sie zusammenbringen. Design könnte dabei einiges leisten, sei es auch »nur« als eine Art Juniorpartner. Was über die Designforschung auch weit hinaus gehen kann.
Neben diesen organisatorischen Herausforderungen: Ist nicht auch die Wahl des Veranstaltungsortes, das Allgäu, schwierig für eine solche Veranstaltung? Findet Design und Gestaltung nicht hauptsächlich im urbanen Raum statt? Jein. Natürlich, wenn man »das« Design nimmt, stimmt das mindestens quantitativ sicherlich. Es geht aber bei »Stadt.Land.Schluss.« – und auch im »richtigen« Leben – aber mehr um das Gestalten an sich. Da wage ich zu behaupten, gestaltet fast jeder Bürgermeister mehr, als ein:e Designer:in. Und man gestaltet ja auch gar nicht so indirekt mit jeder Flasche bzw. jedem Tetrapak Milch, welche Landwirtschaft und ergo Landschaft man sich wünscht. Deshalb: Für Gestaltung braucht es nicht zwingend Designerinnen und Architekt innen. Das ist manchmal vielleicht auch gut so, in der Regel aber nicht, sondern eine vertane Chance. Was die Menge an Büros angeht, sind in der Stadt sicherlich mehr ansässig, mit Blick auf die Qualität muss das aber nicht so sein – es gibt genügend ländliche Gebiete, die das zeigen.
Worin sehen Sie überhaupt den Unterschied von Stadt und Land? Die »Stadt« zu definieren ist einfacher, weil sie alleine schon über formale Kriterien bestimmt werden kann. Doch eine Stadt zu sein, heißt nicht unbedingt und automatisch, auch ein »urbaner« Raum zu sein. Der Begriff »Land« lässt sich im Übrigen auch weit weniger gut greifen: Heißt es jetzt »Natur«, »Dorf« oder nur »dünn besiedelt«? Vermutlich ein Grund, warum ich öfters den Begriff »ländlicher Raum« verwende, er gibt weniger klar geglaubte Grenzen, bezieht also Dörfer, Felder und kleine Städte gleichermaßen ein. Grundsätzlich sehe ich eine wenig erbauliche Entwicklung, denn so wie die meisten Städte an ihren spezifisch »städtischen« Qualitäten dazu gewinnen, verliert das Land die seinen, die ländlichen, wie zum Bespiel Ruhe, saubere Luft, (nicht kommerzialisierte) Freiräume, eine (arten)vielfältige Natur etc. Wer ein richtig gutes Brot will, bekommt es in München leichter als bei uns hier im Umkreis von 20 Kilometern! Selbst Bienen finden dort auch leichter eine Blume als hier bei uns.
Sie sprechen gern vom Land als übernutztes oder verlassenes Terrain. »Verlassen« kann ich nachvollziehen, Ihr Beispiel der Bäckerei illustriert dies passend. Aber wo ist der ländliche Raum »übernutzt«? Bei Ihnen in der Nähe würde ich sagen: im Ötztal. Was sich da vor allem im Winter abspielt, könnte man vermutlich mit »Übernutzung« fast noch beschönigend bezeichnen. In Vorarlberg ist das Niveau zwar hoch, die Qualität und auch bis zu einem gewissen Grad die Sensibilität bei baulichen Themen, doch letztlich und in Summe mit solchen Folgen, dass sich viele in ihren vergenen« Dörfern ein Leben nicht mehr leisten können – weil der Tourismus die Preise dermaßen nach oben getrieben hat. Eine Entwicklung, die vermutlich noch lange nicht zu Ende sein wird. Und leider nicht nur dort! Dann gibt es wiederum Gegenden wie in Niederösterreich, um in ihrem Lande zu bleiben, wo der Wegzug mitunter dramatische Ausmaße annimmt. Die ziehen, analog zu München, Hamburg und Berlin in Deutschland, dann nach Wien, wo die nächsten Probleme entstehen – weil der (bezahlbare) Wohnraum fehlt. Ein zweiter Punkt, der eine andere, vielleicht noch viel dramatischere Form von Übernutzung darstellt: die (konventionelle) Landwirtschaft. Es ist unglaublich, wie sich diese in kürzester Zeit verändert hat – und mit ihr die Landschaft. Im Allgäu beispielsweise wird der nicht bebaute Teil geprägt von monotonen Fichtenwäldern und überdüngten, artenarmen Wiesen. Aus der Weite schön anzuschauen, aus der Nähe zum Weinen. In Niederbayern wiederum spricht man von »Maiswüsten«. Kein Wunder also, dass sich Fuchs, Rabe und Biene längst in die Stadt aufgemacht haben. All diese offensichtlichen Entwicklungen werden mit aberwitzigen Mengen an Steuergeldern finanziert. Damit komme ich nochmals zum Aspekt der Gestaltung und Gestaltbarkeit: Wir leben in einer von Menschen für Menschen gestalteten Welt. Das impliziert, nein fordert doch, wir müssen sie besser entwerfen: schöner, ökologischer, bunter, fairer, intelligenter, verantwortungsvoller, behutsamer, gerechter...
Gehen Sie dabei mit dem Land nicht zu hart ins Gericht? Ihr Symposium findet doch gerade im Allgäu, einer der schönsten Gegenden Deutschlands statt. Ist diese Schönheit nicht Wert genug? Und sind schöne Design-Produkte das, was diesen Regionen fehlt? Verzeihung, aber dieser Topos, das Allgäu sei eine der schönsten Gegenden, macht mich fast aggressiv! Diese Region hat eine Öko-Landbauquote von vielleicht gerade einmal 12%, einen Flächenverbrauch, der (selbst in Bayern!) fast beispiellos ist und bekam gerade in einer Studie der TU München die nach Niedersachsen artenärmsten, gleichförmigsten Wiesen bescheinigt. Dass »Stadt. Land.Schluss.« auf dem Land stattfindet, war gewissermaßen programmatisch und substanziell. Es macht nicht viel Sinn, sich in einer lustigen Stadt zu treffen und über die Probleme auf »dem Land« zu sprechen. Der Abstand, das vermutlich dann immer immanente »dort«, geht nicht – es braucht das »hier«!
Sehen Sie die von Ihnen angesprochenen Probleme in der Verantwortung der Raumplanung oder der Politik? Ich glaube, das kann man nicht einer Gruppe zuordnen und auch ganz grundsätzlich nicht auf einen Punkt reduzieren. Es hängt ja alles immer mit allem zusammen – das Eine bedingt das Andere. Das macht es eben auch so schwer, etwas zu ändern. Wenn von den Bürger:innen kein Druck auf die Bürgermeister:innen kommt, handeln diese selten, wenn diese nicht gestaltend und verantwortlich vorangehen, folgt ihnen wieder keiner. Was ihnen gegebenenfalls auch viel Aufwand und Ärger erspart! Der Weg des geringsten Widerstands führt selten zu höchster Qualität.
Um die Chancen und Probleme des ländlichen Raums aufzuzeigen, haben Sie Ihr Symposium »Stadt. Land.Schluss.« initiiert. Gleichzeitig bezeichnen Sie sich selbst als »Teil der Problematik«. Welchen Teil sehen Sie bei sich? Oh Gott, sehr viele Teile! Unser Büro ist im Allgäu, inmitten von überdüngten, Kuhfreien Wiesen. Wir leben und arbeiten also hier, haben viele Kund:innen aus der Region, sehen viele Entwicklungen. Sei es eben in der Nutzung des Landes, der Veränderung der Dörfer (Donut statt Krapfen) oder auch touristischer Tendenzen (Vokabular kompensiert Realität) ... das alles ist eigentlich ja an vielen Stellen konkurrierend, wird aber zumeist nicht so oder gar nicht wahrgenommen. Was bei uns wirklich frustrierend ist, sind die Diskrepanzen in der Wahrnehmung und Nutzung – da wird das Bike- und Touren-Equipment quasi querfinanziert mit dem Einkauf bei Lidl und Aldi (ergo Hofer). Gänzlich ausblendend, dass die Landschaft, die man so sehr schätzt und nutzt, die (bewirtschaftete) Alpe, auf die man geht, irgendwie ja schon recht direkt zusammenhängen und abhängen von Konsumgewohnheiten und -präferenzen. Wie auch auf touristischer und politischer Ebene die Worte nicht recht zu den Taten passen. Man spricht von einer der schönsten Landschaften Deutschlands, der Natur, die so wichtig ist – und lässt Laufställe mitten in die Wiesen bauen, Gewerbe- und Industriegebiete in jedem Dorf, an jeder Bundesstraße und so weiter und so fort. Irgendwas passt da nicht zusammen. Und daran kann man schon leiden, wenn man will!
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Das Interview wurde im Rahmen des Stadt.Land.Schluss-Festivals 2017 für den Blog des Dachverbandes österreichischer Stadtmarketingorganisationen geführt. Die Langfassung findet sich unter https://www.stadtmarketing.eu/stadt-land-schluss/
Das von Andreas Koop angesprochene Buch ist zum Glück doch noch fertig geworden. Es heißt »Schön und Gut«, ist schön und gut und im Birkhäuser Verlag erschienen.