13 Fragen über verantwortungsvolle und nachhaltige Konzepte

Andreas Koop ist Dipl.-Designer (sfg) und leitet seit 1995 ein renommiertes Designbüro im Allgäu. Seine Arbeiten umfassen, neben klassischem Grafikdesign, auch visuelle Erscheinungsbilder und räumliche Konzepte für Unternehmen sowie öffentliche Auftraggeber, Museen, Universitäten und Fachhochschulen. Im Vordergrund stehen hierbei verantwortungsvolle und nachhaltige Konzepte mit einem umwelt- und wertebewussten Designansatz. Über seine gestalterische Tätigkeit hinaus engagiert sich Andreas Koop zudem als Autor, Dozent und Designforscher. Dabei bewegt er sich im Spannungsfeld von Zeitgeschichte, Gesellschaft, Politik und Design.

Sie kommen aus dem Informationsdesign und arbeiten viel in den Bereichen Signaletik und Szenografie. Bei der Konzeption und Gestaltung Ihrer Leit- und Orientierungssysteme und Museumsprojekte spielen die Themen „Inklusion“ und „Barrierefreiheit“ häufig eine nicht unwesentliche Rolle. Welchen persönlichen Bezug haben Sie zu diesen Themen und wie kamen Sie dazu, sich intensiv mit ihnen zu befassen?

Ursprünglich hatte ich, worüber man ja im Grunde nur froh sein kann, keinen wirklichen Bezug zu Barrierefreiheit und Inklusion. Vielmehr muss ich gestehen (was ich kürzlich erst in einem Interview in der »novum« zu diesem Thema auch habe), dass wir immer froh waren, wenn diese Themen gar nicht auf den Tisch kamen. Man war also eher erleichtert, wenn das vom Auftraggeber gar nicht angesprochen wurde. Aber selbst dort, wo es eine »Position« auf der Agenda war, wurde es von vielen Kunden selbst auch nicht allzu ernst und wichtig genommen – sie waren mitunter nicht böse über die Bedenken der Gestalter, die man dann schön »weiterverwenden« konnte und keine zusätzlichen Positionen bei den Kosten entstanden.

Heute sehe ich das anders, weiß aber gar nicht mehr wirklich, wie und warum sich das geändert hat. Sicherlich von Bedeutung war die Anfrage des Landkreises, ob ich beim »Kommunalen Aktionsplan Inklusion« nicht eine Arbeitsgruppe leiten und Teil der Steuerungsgruppe sein möchte. Wollte ich, fand ich spannend – was es auch war. Ich betreute das Thema »Kommunikation und Bewusstseinsbildung«, hatte in der Gruppe Menschen mit den verschiedensten Behinderungen, Experten aus unterschiedlichen Einrichtungen und konnte dort von den Problemen erfahren, die Menschen mit Handicaps haben. Dabei musste ich feststellen, wie wenig oft schon reicht, dies zu ändern! Die Frage war dann auf meine Rolle bezogen: wie lässt sich das kommunizieren und begreiflich machen? Und deutlich wurde dabei auch, dass es eben weder »freundlich«, noch »großzügig« ist, wenn man diese Bedürfnisse berücksichtigt, sondern damit ein verbrieftes Menschenrecht erfüllt wird!

Parallel dazu hatten wir im Büro die erste »richtige«, explizite Aufgabenstellung: ein Gebäude in einem Freilichtmuseum inklusiv zu erschließen – und zwar primär für Blinde und sehbehinderte Menschen. Und dabei haben wir viel gelernt. Vieles, das oft mühsam war, widersprüchlich, wo bei Abwägungen das Ästhetische nicht die zentrale Rolle spielte. Wo Bedürfnisse konkurrierten, wo Kompromisse notwendig wurden. Jedenfalls hat uns das alles sehr fasziniert, denn gerade der Gedanke des Inklusiven (und Sozialen) ist ja einer, der im Design immer auch wichtig war, wenn auch unter anderem Namen. Im »Wagnerhäusl« an der Glentleiten haben wir dann erlebt, wie spannend gerade Kinder es finden, wenn man viele taktile Objekte hat, wenn man spielerisch und sinnlich an die Themen herangeht. So ist das primär für blinde und sehbehinderte Menschen konzipierte Haus heute eines, dass allen gefällt und Freude macht, wo Kinder ihren Spaß haben und so subtil wie unumgänglich auch an die Fragen von »wie ist es nichts zu sehen« herangeführt werden, sensibler werden. So bedeutet dieses »inklusiv« eben auch nicht, nur für eine Gruppe von Menschen mit Handicap zu sein, sondern für alle.

Wie gelingt es Ihnen sich in Menschen und ihre ganz individuellen Bedürfnisse hineinzuversetzen? Arbeiten Sie im Gestaltungsprozess unmittelbar mit Menschen zusammen, die durch ihr Alter, ihren Migrationshintergrund oder irgendeine Form der Behinderung in ihrer Wahrnehmungsfähigkeit eingeschränkt sind?

Ich meine, diese Frage kann man ganz ehrlich damit beantworten: gar nicht! Wie ist es, nichts zu sehen? Also noch nicht einmal, wenn man versuchsweise die Augen schließt und durch die Wohnung geht – weil man ja jederzeit sehen könnte. Oder nichts zu hören? Wie gibt jemand, der nichts hört, einen Notruf ab – er weiß nicht, ob jemand am anderen Ende schon oder noch am Telefon ist! Im Rollstuhl zu sitzen? Kognitiv limitiert zu sein – man hat hier ja schon nicht einmal die Vorstellung davon, ob man das selbst dann merken würde und wie sich das eben anfühlt. Nein, mit dem »Hinversetzen« ist das so eine Sache. Und deshalb ist so wichtig – und zwar möglichst früh – die »Betroffenen« mit einzubeziehen, sie in das Projektteam zu holen. Wer ein Leitsystem für Sehbehinderte und Blinde macht, der muss mit ihnen reden, vor Ort zusammen die Wege laufen, fragen, probieren, verbessern, wieder testen … Man würde beispielsweise nicht glauben, was für einen Unterschied es ausmacht, ob jemand noch wenige Prozent Restsehstärke hat, oder nicht. Das alles geht nur miteinander – dann aber gut. Und es ist wirklich sehr oft sehr beeindruckend. Und oft auch amüsant! Einmal sagte eine involvierte Blinde zur Leiterin einer staatlichen Stelle: »Ich bin blind, nicht blöd«! Also: wenn wir für bestimmte Bedürfnisse hin planen und entwerfen, dann immer und so früh wie möglich mit genau diesen Personen reden und sie einbeziehen.

Welche Möglichkeiten haben Designer, mit Hilfe von Gestaltung, Hürden und Hindernisse abzubauen?

Das ist eine schwierige Frage, die man so im Ganzen ja auf das Design selbst anwenden kann – und ich mir dabei immer denke: irgendwie unglaublich viel und irgendwie aber auch so gut wie gar nichts. Was wir als Gestalter(innen) aber letztlich ja immer versuchen, ist etwas an einer bestehenden Situation zu verbessern – was ja auch eine Grundannahme von Design ist: aus einem vorhandenen Zustand einen per se besseren zu entwerfen. Offen bleibt, wie viel besser – und was das dann bedeuten kann. Letztlich bin und bleibe ich aber davon überzeugt, es gibt immer Möglichkeiten und Spielräume. Eine gute Gestaltung zeichnet sich ja nicht nur dadurch aus, dass sie überraschend und ästhetisch ist, sondern auf irgendeine Weise auch intelligent und intuitiv … So lassen sich Aspekte der »Leichten Sprache« gestalterisch auch in Illustrationen als »Leichte Grafik« denken und umsetzen. Wir haben bei der Ausstellung »Von Schafen und Schäfern« beispielsweise den Verarbeitungsprozess von der Wolle bis zum Endprodukt – für Blinde und Sehbehinderte – taktil erfahrbar gemacht, aber auch für kognitiv eingeschränkte Personen über den Illustrationsstil das ganze verständlich gemacht. Die wiederum animierbar waren und parallel auf kleinen Screens als Mini-Videos laufen. Oder die Überlegung, ob man sich bestimmte Inhalte nicht auch vorlesen lassen kann. Ob man vorhandene Schienen (das haben wir bei einem Bergbau-Projekt eben angeregt) nicht gleich als taktilen Bodenindikator für Blinde verwenden kann und so weiter! Oder, ein anderer Aspekt, indem man den Aspekt des Ästhetischen im visuellen Sinn auch auf den taktilen überträgt: man also beispielsweise Materialien verwendet, die haptisch schön sind. Wir wurden vor kurzem von einem großen Freilichtmuseum gebeten, ein taktiles Geländemodell zu entwickeln. Das haben wir dann zusammen mit einem Bildhauer realisiert – aus verschiedenen Hölzern, die einfach sehr angenehm sind zu berühren. Aber auch hier gab es wieder an einem Muster den Testlauf mit einer blinden Person, die uns half, bestimmte Aspekte nochmals besser herauszuarbeiten und ein Maß zu finden, wie detailliert man sinnvollerweise werden sollte.

Spannend ist im Übrigen der Unterschied zwischen Barrierefreiheit und Inklusion: es geht also nicht mehr primär »nur« darum physische Barrieren zu beseitigen – das wäre und ist eine zwar wichtige, aber oft eher bauliche Aufgabe. Und punktuell mitunter sogar »separierend«: hier den Eingang für diese, dort für jene! Der Ansatz der Inklusion hingegen ist ja gerade die Suche nach Lösungen, die (möglichst) allen dienen. Nicht die Rampe für den Rollstuhlfahrer hier und das taktile Element für die Blinden dort, sondern integrierte, inklusive Konzepte. Beim kürzlich realisierten Leitsystem im Landratsamt Ostallgäu haben wir aus der Not eine Tugend gemacht: es gab so gut wie keine Flächen für die Signaletik. Die langen Gänge hatten links und rechts Türen, die Decke war nicht sehr hoch, am Ende waren meist große Glasflächen. Wir mussten uns also den Raum erst selbst schaffen! Das taten wir über Möblierungen, bei denen dann wiederum viel Freiheit möglich war. Die Objekte konnten so in einer Höhe entworfen werden, die zum Tasten ideal war. Dort integrierten wir taktile Grundriss-Plan-Ausschnitte in Blickrichtung, die wiederum auch für Sehende hilfreich sein können. Das schöne dabei war dann, dies alles in jeweils einem Objekt leisten zu können – in diesem Fall eine Art »Drei-Sinne-Prinzip«, da man sich die Inhalte der Elemente auch noch vorlesen lassen kann.

Wo liegen die größten Herausforderungen, Informationen für unterschiedliche Anforderungen entsprechend zu gestalten? Wo kamen Sie bei den angesprochenen Projekten selbst an (technische) Grenzen?

Da gibt es einige, die allesamt letztlich bereits bekannt sind, sich dabei aber gewissermaßen »verschärfen«. Die Dopplung von Braille und Pyramidenschrift, und überhaupt letztere, ja immer versal zu setzende, braucht ungemein viel Platz. Die Konsequenz ist eine meist notwendige Verdichtung (und Reduzierung) der Inhalte. Das tut natürlich mitunter arg weh – dem, der die Texte macht und dem, der sie setzt! Je nach dem stellt sich dann die Frage, ob man Inhalte in andere Dimensionen »auslagert«, also nur für Sehende schreibt und für Blinde/Sehbehinderte Audioguides anbietet. Doch wie immer, ist es nicht so einfach! Man muss sich dann überlegen, wie man die sinnliche, taktile Information und die der Audio-Ebene »synchronisiert«, wie man führt. Auch ist es so, dass viele Sehbehinderte lieber selbst lesen, so gut es geht, oder müsste man sagen, so schlecht oder schwierig es ist. Das ist sehr bemerkenswert und beeindruckend! Da spürt man ein Stück weit sicherlich auch den Wunsch nach dem Selbstbestimmten heraus: Danke, ich will das aber selbst lesen und nicht vorgelesen bekommen. Vieles ist letztlich wirklich eine Art Platzproblem, manches natürlich auch im Entwurf beeinträchtigt durch die gebotene Art und Größe der Schrift. Über den 3D-Druck wiederum gewinnt man in manchen Aspekten wieder etwas Freiheit zurück, weil man nicht gezwungen ist, zwischen Arial und DIN zu wählen – puh!

Viele Gestalter gehen zunächst davon aus, dass einen die konzeptionelle Berücksichtigung von Menschen mit Behinderung bei der Gestaltung einschränkt. Welche Erfahrungen haben Sie bei Ihren Projekten gesammelt? Konkurriert funktionale Barrierefreiheit zwangsläufig mit ästhetischem Anspruch?

Nicht zwingend. Und man muss auch nicht sagen, dass es per se um ein Vielfaches schwieriger ist, trotzdem eine gute Gestaltung zu erreichen. Es kann durchaus passieren, dass es deswegen ist! Wie beim geschilderten Leitsystem zuvor erwähnt, haben uns die »eigentlichen« Restriktionen eher geholfen – oder anders ausgedrückt: wie es oft bei Gestaltungsprozessen der Fall ist, fügt und findet sich das Entwerfen, wenn das Konzept stimmig ist, umso schlüssiger und eleganter. Hier haben die Anforderungen zusammen die Form gefunden – und die Form alle Anforderungen erfüllt. Um es zu wiederholen, ob es trotzdem oder deswegen mit »Silver« beim European Design Award 2018 ausgezeichnet wurde, weiß ich nicht!-)

Es sind weniger Hürden in der Konzeption, als tatsächlich die zuvor erwähnte Multiplikation bei den Texten (in Braille- und Pyramidenschrift). Klar, man hat gewisse Einschränkungen, wenn in einem Museum alles unterfahrbar sein muss – aber auch hier gilt das, was in der Gestaltung immer irgendwo greift: man muss einfach selbst schauen, wie man damit klar kommt, so wie man das ja auch mit dem Budget, den Terminen den Dimensionen der Räume etc. auch muss und kann gleichermaßen aber auch Kompromisse von anderen erwarten – es ist ja schon eine gute Sache, wenn fast alles erreichbar oder unterfahrbar ist, aber bei einem extrem effektvollen und für die Darstellung wichtigen Objekt eben zwei Exponate vom Rollstuhl aus nicht so gut zu sehen sind. Das wird einem jeder verzeihen, wenn man sich sonst anstrengt!

Sie sind Mitglied des Projektbeirats des „Bundespreis ecodesign“ und beschäftigen sich darüberhinaus auch privat und unternehmerisch mit dem Thema Nachhaltigkeit. Die „designgruppe koop“ entwickelt vorrangig ökologisch sinnvolle Gestaltungslösungen. Wie und wo kann man als Kommunikationsdesigner im Gestaltungsprozess ökologische Verantwortung übernehmen?

Ganz fundamentalistisch ausgedrückt, schon indem man nicht jeden Auftrag annimmt! Aber man muss nicht nur nach außen blicken, sondern auch im eigenen Büro fair sein: wenn man seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern fest und unbefristete Verträge gibt, ordentlich bezahlt und sich Überstunden für den »Notfall« beschränken. Wichtig ist es uns, Nutzen zu schaffen – der sich aber nicht auf einen rein ökonomischen reduziert. Ich bin der Überzeugung, eine Lössung kann nur dann gut sein, wenn sie für alle gut ist, nicht nur für den Auftraggeber oder uns. Auch für dessen Kunden, diejenigen, die das hergestellt haben und so weiter. So und dann kommt als letztes das, was man gerne und gemeinhin als erstes (und leider oft einziges) sieht: eine ökologische Umsetzung. Nur, was ist ein Blatt aus Recyclingpapier auf dem Plastiktablett bei einer Restaurantkette, die ihre Mitarbeiter miserabel bezahlt und behandelt?

In welchem Maße fließen die Werte der »designgruppe koop« tatsächlich in Ihre Kundenprojekte ein?

Wir hatten vor zehn Jahren den Wunsch, diese Themen mehr und mehr in ganz »normale« Aufträge einzubringen. Aus diesem Grund haben wir das Label oder den Bereich »oekoop« entwickelt – er war eine Art »Etikett« und Kommunikationshilfe für uns, um Kunden damit anzubieten, ihre Aufgabe vielleicht auf einem ökologisch konsequenteren und vorteilhafteren Weg zu lösen. Es war dann wie eine Frage: »Wollen wir nicht ein oekoop-Projekt daraus machen?«. Dies wurde mittlerweile obsolet, weil wir das immer so machen und auch nicht mehr fragen! Dabei muss man natürlich aufpassen, niemanden zu überfordern – aber zu fordern. Ich bin nämlich nicht der Meinung, »alle dort abzuholen, wo sie gerade sind«, jeder kann und soll sich bewegen. Wie gesagt, im Rahmen der Möglichkeiten, des Umfeldes, »pädagogisch wertvoll« und sensibel. Aber es ist wirklich interessant, was es alles für Optionen gibt, welche Möglichkeiten man bei Materialien hat und so weiter.

Wir verwenden beispielsweise ganz oft Pappelsperrholz bei Museumsprojekten, vor allem bei temporären Ausstellungen. Das ist gut bedruckbar, sehr günstig, leicht, angenehm im Handling, »wiederverwertbar«, in dem man es umdreht und neu bedruckt, abschleift, überstreicht und so weiter. Ansonsten kommt es » sortenrein« ins Altholz. Wir haben bei der Ausstellung »Nicht Dorfhaus und nicht Villa …« beispielsweise einen »Turm zu Babel« aus diesem Material gebaut: Gut 5 Meter hoch und mit 3 Metern Durchmesser hatte er ein Gewicht von vielleicht 25 kg. Und schon während des Aufbaus haben die Mitarbeiter geklärt, wer welches Element am Ende der Ausstellungsdauer mit nach Hause nimmt. Das Podest aus dieser Ausstellung wird jetzt dann in der nächsten zum dritten Mal (wieder in einer anderen Farbe gestrichen) verwendet – wenn man das vorher weiß, kann man es eben entsprechend einplanen. Bei der Anwendung von natürlichen Materialien sollte man allerdings schon auch ein wenig Erfahrung damit haben, gerade im Außenbereich. Was die Materialien angeht, ihre Ökobilanz, Dauerhaftigkeit, den Instandhaltungsaufwand, die Wieder- oder Weiterverwendung etc. gibt es sehr oft Alternativen und intelligente Optionen. Oft muss man allerdings einiges an Überzeugungsarbeit leisten – witzigerweise (oder traurigerweise?) weniger bei den Kunden, als den Druckern, Werbetechnikern, Siebdruckern, Schreinern …

Schaut man sich Ihre Projekte etwas aufmerksamer an bemerkt man schnell wie vielfältig Ihre Tätigkeit als Designer ist. Sie selbst bezeichnen sich als Generalisten. Warum sollte man Ihrer Meinung nach als Gestalter möglichst universell ausgebildet sein?

ch bin der Überzeugung, die zunehmend komplexer werdende Welt braucht weniger Spezialisten, als Generalisten, wenn sie so bleiben soll, wie sie ist (oder wieder schöner werden will!). Im Grunde kann man einfach nichts für sich alleine sehen. Sie, ich – wir sind Teil eines beinahe unendlichen Systems physischer, aber auch mentaler und emotionaler Art. Es ist der große Irrtum von uns Menschen, dass wir immer glauben, alles beherrschen zu können und niemanden zu brauchen. Man kann in einem systemisch verbundenen Netz eben nichts nur für sich »separat« berühren – es ist immer alles betroffen. Man macht sich gerne lustig, wenn wegen einer Libelle eine Straße nicht gebaut werden darf. Aber hat sie nicht das gleiche Recht zu leben wie wir? War sie nicht früher da? Und an ihr hängen womöglich schnell zehn weitere Arten, die dann mit ihr »gehen« – das Gleichgewicht ist dahin, das Habitat entwertet.

Gleichermaßen glaube ich nicht daran, dass – auf unseren Bereich bezogen – ein neues Signet beispielsweise einen Wert an sich darstellt – und die Veränderung eines punktuellen »Symbols« wirkliche Wirkung hat. Mit einem Erscheinungsbild sollte man sich über Identität auseinandersetzen – und schnell kommt man vom »äußeren Zeichen« zu ganz anderen Fragen wie denen des Umgangs miteinander, der Sprache, mit der man kommuniziert. Das Signet, um bei diesem Beispiel zu bleiben, mag dann ein guter Ausgangspunkt gewesen sein, das Ziel muss es aber nicht unbedingt sein.

Im Übrigen sehe ich das auch so bei der Ausbildung, beim Studium von Design. So bin ich der festen Überzeugung, man sollte schon (mindestens!) eine Sache sehr gut können – aber von sehr vielen auch etwas verstehen. Und Fächer, Themen wie Philosophie oder Soziologie nicht als »exotische Extras«, sondern substanziell für unsere Arbeit: die ja immer mit und für Menschen ist, mit ihnen interagiert … und so wie wir mit der Gestaltung etwas verbessern wollen, fragen sie Philosophen, was denn der Sinn des Lebens ist, was ein »gutes Leben« sein kann. Da sind wir doch mittendrin im Design!

Seit 2001 unterrichten Sie an verschiedenen Hochschulen. Erkennen Sie – mit Blick auf die vergangenen zwanzig Jahre – eine Entwicklung im Denken junger (angehender) Designer? Hat sich eventuell sogar das Bewusstsein, für die Auswirkungen des eigenen Handelns, verändert?

Oh Gott, das ist eine große Frage! Man ist ja auch geneigt, gegenwärtige Entwicklungen aufgrund ihrer Nähe vielleicht als stärker wahrzunehmen – und läuft ohnehin Gefahr zu verallgemeinern. Wie will ich es versuchen? Es gab und gibt immer wache, neugierige, fleißige, humorvolle, kritische Studentinnen und Studenten, wie es auch bequeme, denkfaule, übervorsichtige und recht empfindliche gibt. Ich sehe aber schon eine Tendenz hin zu sozialen und ökologischen Themen und Fragestellungen, allerdings – und das ist schon ein »wunder Punkt«, der dies schnell relativieren kann – habe ich den Eindruck, die Studierenden werden nicht in dem Maße »politischer«. Können Sie sich vorstellen, zwanzig, dreißig Kommilitoninnen und Kommilitonen zu finden, die bei einem entsprechenden Anlass mit Ihnen einen Hörsaal besetzen? Und am Ende die Noten zu riskieren?

Welche Werte versuchen Sie den Studierenden – neben fachlichem Wissen – noch zu vermitteln?

Ich versuche mit Händen und Füßen die Studierenden politisch zu sensibilisieren, zu politisieren!-) Um Gottes Willen nicht im Sinne von Parteien, sondern von »echter« Politik. Das alles ist mit ein Grund, warum voraussichtlich im Frühjahr 2018 bei Birkhäuser mein nächstes Buch zum Thema »Was eine werte-orientierte Gestaltung verändern kann« erscheinen wird. Es kann doch nicht das Lebensziel und der Lebensinhalt sein, für einen möglichst großen und so wunderbar beeindruckenden erfolgreichen Autokonzern den nächsten Messestand zu gestalten – und damit den schönen Schein für die nächste Schwindelei zu liefern. Design heißt für mich, Sinn gestalten, Sinn eine Form geben. Und Formen einen Sinn.

Wie bewerten Sie aktuelle Studiengänge wie „Social Design“ oder „Eco Design“? Sehen Sie darin die Zukunft oder sollte Ihrer Meinung nach auch in konventionellen Studiengängen der Fokus stärker auf soziale bzw. ökologische Inhalte gerichtet werden?

Es ist gut, dass es diese – wie beispielsweise an der Universität Bozen – so etwas gibt. Langfristig sollte es sich aber fast selbst erübrigen, weil diese Themen im »normalen« Studium schon verankert sein sollten. Nur: das sollte in immer kürzerer Zeit ohnehin schon immer mehr vermittelt werden. Insofern ist es als Vertiefung, Fokussierung und intensive Beschäftigung damit sicherlich wertvoll. Leider kommt man bei diesen Fragestellungen – ich habe das mit Kris Krois von der Uni Bozen im Kontext unseres Symposiums »Stadt.Land.Schluss.« erst vor kurzem diskutiert – immer wieder auf den frustrierenden Punkt: wo viel Geld ist, findet man meist wenig Sinn, wo der Sinn überdeutlich wird, fehlen dafür die Mittel. Die Fragen von eco-social-design sind also: was könnte es sein, was müsste man anders machen – und wie lebt man davon!

Neben Ihrer eigentlichen Tätigkeit als Gestalter widmen Sie sich verstärkt der Designforschung. Dabei entstand bereits eine Vielzahl von Publikationen und Vorträgen. In Ihrem Buch „Die Macht der Schrift: eine angewandte Designforschung“ untersuchen Sie die Typografie in verschiedenen Herrschaftsformen, von der Vergangenheit bis in die Gegenwart. Dabei gehen Sie der Frage nach, wie Schrift ein Mittel und Medium der Macht sein kann. Ihre Forschungsergebnisse bereiten Sie visuell auf. Welche Schlüsse ziehen Sie aus Ihrer Forschungsarbeit, in Bezug auf die Verantwortung des Designers und wie lassen sich diese Erkenntnisse auf Ihre eigene Arbeit als Gestalter übertragen?

Bei der Forschung über »Schrift und Macht« gibt es durchaus Erkenntnisse und auch Anstöße, die auf die »normale« Gestaltungspraxis Einfluss haben. Ich schreibe am Ende des Buches – neben der Aufforderung, andere sollen doch an diesen bewusst angelegten »Schnittstellen« weiterarbeiten, mich widerlegen, verbessern … damit endlich ein wenig Schwung und Fortschritt in die Designforschung kommt! – davon, dass sowohl die Historiker, als auch die Designer durchaus etwas davon haben können. Erstere sehen, dass Form bereits Inhalt sein kann – die formale Dimension also mitunter enormen inhaltlichen Einfluss hat. Letztere werden erkennen müssen, dass wir so frei nicht sind und jede Schrift, jede Farbe etc. (je nach Kontext) bereits »belastet« ist; ich sage immer, alles hat schon einen Rucksack auf, den es mit sich herumträgt. Das ist nicht schlimm – wenn man sich dessen bewusst ist. Dies würde dann dazu führen, dass man weder Konventionen noch Traditionen unreflektiert fortführt, noch diese »einfach negiert«, sondern gewissermaßen in seinen Dienst nimmt. Die Aspekte nutzt, die einem helfen und auf dieser Basis arbeitet. Um damit dann intelligente, bewusste, reflektierte Entwürfe zu schaffen.

Wir freuen uns, dass Sie die Zeit gefunden haben, unsere Fragen zu beantworten und bedanken uns ganz herzlich für dieses Interview. Zum Abschluss interessiert uns noch folgendes:

Welche Frage wollten Sie schon immer einmal gestellt bekommen? Und wie lautet die Antwort?

Oh Gott, das ist vielleicht eine schwierige Frage! Vielleicht »Was wäre Dein größter Wunsch?« – das frei sein von Wünschen.

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boxhorn 2018 Interview: Robert Franke Henry Monse