Land unter!?

»Kann man ein gutes Leben gestalten? Auch auf dem Land?« Unter dieser nur auf den ersten Blick irritierenden Frage findet im November das zweite transdisziplinäre Symposium »Stadt.Land.Schluss.« in Marktoberdorf statt. Dort wird aus verschiedensten Perspektiven – von Philosophen, Architekten, Designern, Bio-Bauern … – auf das Land geblickt: auf seine Gestaltung, Gestaltbarkeit und die (wirklichen) Gestalter. Denn Fakt ist, gestaltet wurde und wird es, ganz egal, ob gut oder schlecht, übernutzt oder verlassen …

Land unter!?

Komisch, in den Medien geht es eigentlich immer nur um »die Stadt«. Kulturelle, architektonische, soziologische … Themen tangieren zumindest scheinbar den ländlichen Raum nicht. Sicher, in der Stadt leben zwar schon jetzt oder recht bald die Hälfte der Menschen – doch die anderen knapp 50 Prozent eben auf dem Land. Also dort, wo die Nahrungsmittel für alle hergestellt werden (»urban gardening« wird es nicht richten!), wo das Wasser für die ganzen Ballungsräume herkommt, wo der Raum für Erholung ist und ja, wo überhaupt noch Platz ist. Noch, denn nirgends ist auch der Flächenverbrauch größer als hier – Bayern wie immer mit vorneweg. Dazu kommt die Energieerzeugung: so werden AKWs beispielsweise besonders gerne außerhalb der Zentren platziert, um durch die geringere Bevölkerungsdichte die Folgen bei einem Unfall zu reduzieren. Abgesehen davon sind die regenerativen Energien primär auf dem Land zu gewinnen – da sind die Flüsse, dort ist die Fläche für Photovoltaikanlagen, sind die Plätze für Windkraftwerke. Man würde eigentlich erwarten, wenn man von einem Teil des Landes und der Bevölkerung – letzten Endes kann man das ja so dramatisch sagen – dermaßen abhängig ist, würde man anders damit umgehen. Aber dort auch anders auftreten!

Wie bei den Städten, gibt es »auf dem Land« prosperierende und dahin vegetierende Regionen: hier übernutzt, dort verlassen. Eine Entwicklung, die zudem – quasi »on top« – auch in der Stadt sichtbar wird, mit einigen Folgen, denn man zieht ja nicht in »die« Städte, sondern in einige wenige »hippe«, die wiederum nicht wissen, woher sie die Wohnungen für die Hergezogenen nehmen sollen. Da haben es Biene, Fuchs und Rabe vergleichsweise einfach, diese Vorhut der Fauna-Landflucht!

»Das Land«: romantisiert, verlassen, verkauft, vergessen, verbraucht, über- und unterschätzt. Denkt man die seit längerem laufenden Entwicklungen weiter, scheint die Gewinnerseite recht klar erkennbar: Denn es werden die Städte eher an ihren spezifisch städtischen Qualitäten gewinnen – also was öffentlichen Verkehr, Kultur, Betreuung und Angebot für Kinder und Jugendliche etc. angeht – während man in den Dörfern die ländlichen eher verliert. Neu gebaut wird am Ortsrand, was das Zentrum schwächt, das Auto dominiert die Fortbewegung (mit Doppelgaragen, deren Grundfläche das Haus fast erreicht!) und die Landwirtschaft mit ihren Dimensionen hinterlässt Spuren, wie früher die Industrie in den Städten. Gülle statt Ruß sozusagen. Alles Dinge, die man kennt, wo man weiß, wie sie funktionieren – aber nichts geschieht. Im Gegenteil. Weil der Kurzurlaubs- und Tagestourismus ebenso zunimmt wie das Pendeln, werden Straßen ge- oder ausgebaut, was dazu führt, dass der Verkehr weiter zunimmt – da capo ad infinitum! Dass man den Feinstaub nur in den Städten misst, ist sicherlich kein Zufall. Abgesehen davon trägt das Wirtschaften auf dem Land zu dem in der Stadt einiges bei. Weil die Landwirte von der Milch ihrer Kühe nicht mehr Leben können, drängt man sie dazu, immer mehr zu halten – auch eine Logik. Von den Investitionen erdrückt bekommen sie dann Nothilfen. Alles mit Steuergeld und ohne einmal das Ganze zu hinterfragen. Ob »der Weltmarkt« das Maß sein kann und wie gerade dort marktwirtschaftliche Mechanismen greifen sollen, wo sie seit Jahrzehnten außer Kraft gesetzt sind. Klar, es ist »die Politik«, die EU und überhaupt die Zwänge des Lebens, die uns bedingen. Und doch wird man sehen können, dass wir es sind, die diese Bedingungen schaffen – die Welt quasi selbst gestalten.

Der Tourismus, in vielen Regionen die einzige Chance auf Wertschöpfung kann gleichermaßen eigentümliche Konsequenzen haben. Wenn Orte und ganze Regionen wie beispielsweise in Lech am Arlberg oder am Tegernsee so beliebt werden, dass viele Einheimische es sich dort nicht mehr leisten können zu leben, von einer eigenen Immobilie ganz zu schweigen. Langfristig können solche Gebiete sogar einen Bevölkerungszuwachs verzeichnen – bei gleichzeitigem Verschwinden der einstigen Einheimischen! Dabei gibt es durchaus einen Ansatz, der grundsätzlich Erfolg versprechend und »verträglich« ist: nämlich die Kombination, das Zusammendenken von touristischer Destinations- und Regionalentwicklung. Im Lechtal (Tirol) gibt es beispielsweise Mut machende Ansätze und Erfolge – eben eine ökonomische Perspektiven zu schaffen und die ökologischen Grundlagen dabei zu wahren.

Zum Verlust ländlicher Qualitäten trägt vermutlich auch das langsame Verschwinden der eindeutigen Grenzen bei – so wie nicht jede (formale) Stadt urbaner Raum ist, so vereinen letztlich nicht wenige ländliche Regionen und kleine Ortschaften oder Städte, gerade die Nachteile von Stadt und Land: eben kaum ÖPNV, kein schönes Café aber auch und keine Ruhe, dafür Gülle-Gestank das halbe Jahr. Weil eben Stadt leichter Stadt bleibt, als das Land Land. Doch dass Städte an ihren Qualitäten gewinnen (vielleicht bis auf die Mieten) und das Land seine verliert, woran liegt das nur?

Wo ist denn der Stolz hin, zumindest die gute Seite dieser gefährlichen Eigenschaft – jene, die aus der Verantwortlichkeit kommt und weiter für Verantwortung sorgt, zu Verpflichtung führt? Freilich nicht zu einer Konservierung. Wieso schreibt man gerade heute alles im Dialekt, verkleidet Cafés und Hotels mit Altholz, für das man einen wirklich alten Bauernhof abgerissen hat, den keiner mehr will? Wieso rennt alles mit Billig-Lederhosen herum, druckt auf Filzoptik, hat Natursteinverblendungen? Kauft aber die Milch bei Lidl oder Aldi und merkt nicht, dass da ein Zusammenhang besteht, zwischen den Alpgebieten in den Bergen, die man so sehr schätzt und den Lebensmitteln, die man kauft? Die »Quersubventionierung« von Tourenski und Mountain-(E-)Bike durch den Einkauf beim Billigdiscounter ist zum Normalfall geworden. Wenn aber alte Bäume in den Dörfern fallen, regt sich keiner auf. Das gibt es nur in der Stadt – muss man, wobei viele Städte ja tatsächlich begrünter sind als manches Dorf, erst weit von der Natur entfernt sein, um sie zu schätzen und zu schützen? Schon im 19. Jahrhundert kamen die Bürger der Stadt um die Schönheit der Landschaft zu sehen – und den Einheimischen zu erklären!

Und warum hat man sich in den Orten die Gestaltungshoheit nehmen lassen? Es kann doch nicht nur die kontraproduktive Gewerbesteuer-Logik sein, die tragische Haupteinnahmequelle der Kommunen. Ist es mangelndes Können? Wollen? Oder Wissen? Dabei gibt es ja andere Beispiele, gute und gelungene – wie in Weyarn oder Hittisau … man müsste nur hinsehen und nachmachen. Nur! Gestaltungsmacht ist eben mehr als die Festlegung von Dachgauben und der Farbe von Dachziegeln. Also wer gestaltet das Land? Sie das die Unternehmen, die touristischen Anbieter, die Landwirte oder die Kommunalpolitik? Letztere wird ja in unseren Breiten nicht müde zu betonen, wie schön unsere Landschaft ist und das Wertvollste darstellt, das wir besitzen! Zum Gestalten braucht es bestenfalls dann Gestalter, die helfen können, eine lokale, örtliche Identität zu schaffen oder wiederzuentdecken, sie neu zu beleben. ArchitektenInnen können zur Ortsentwicklung beitragen, wenn sie über das Bauen hinaus denken und gesellschaftliche Perspektiven zusammenbringen. Partizipative Modelle und Maßnahmen intelligent eingesetzt, würden darüber hinaus noch einiges beitragen, um überhaupt den »richtigen« Bedarf zu erkennen und zukunftsfähige Ergebnisse zu erreichen, die dann auch von allen getragen werden.

Wann wird »das Land« seine Rolle neu definieren und mit ihr seinen Wert neu (er)finden?

Wenn wir hier selbst nicht den (wirklichen) Wert unserer Landschaft, ja ganz allgemein »vom Land«, dem ländlichen Raum sehen, wer soll es tun? Natürlich gibt es die Kreis- und Landentwicklungsstrategien, die zumindest der Form nach dem gerne gebrauchten Begriff des »bottom up« nahe zu kommen scheinen. Viele werden gehört, immerhin, aber letztlich fallen Entscheidungen doch nach ganz anderen Kriterien. Oder wie lässt es sich erklären, dass im Oberallgäu (Toursimusregion, LEADER-Gebiet etc.) am »Riedberger Horn« die Alpenkonvention quasi aufgekündigt wird oder in Memmingen ein Regionalflughafen mit Subventionen des Freistaats aufrecht erhalten wird, den keiner wirklich braucht. Doch wer, wenn nicht wir selbst, soll auf Land und Landschaft achten? Diese »Reserve« in jeder Hinsicht. Es braucht ein neues Selbstverständnis, Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen – aber kein Trachten-kaschiertes, Bauern-bedauerndes und Billig-Milch kaufendes, bequem-verlogen lavierendes. Frauen und Männer der Dörfer, ihr Menschen auf dem Land: Verteidigt es, schützt es und gestaltet es intelligent – ihr habt nur das!

30. Juli 2017

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Andreas Koop ist »eigentlich« Kommunikationsdesigner und führt seit über 20 Jahren ein vielfach ausgezeichnetes Büro im Allgäu das sich eine verantwortungsvolle, »intelligent-nachhaltige« Arbeitsweise auf die Fahnen geschrieben hat. Darüberhinaus engagigiert er sich als Designforscher, Autor, Dozent, Kolumnist …

Das zweite Transdisziplinäre SLS-Symposium findet vom 8. bis 10. November 2017 in Marktoberdorf im Allgäu statt – mit der übergreifenden Frage: »Kann man ein gutes Leben gestalten? Auch auf dem Land?« Neben Vorträgen und einer Ideenwerkstatt wird am Abend auch noch »Kofelgschroa« aufspielen …

Mehr Informationen zu »Stadt.Land.Schluss« gibt’s unter www.stadt-land-schluss.eu Dort findet sich auch ein Call for Paper für Kurzvorträge – mit guten Beispielen, die motivieren, faszinieren, animieren (schlechte Nachrichten gibt es ja genug!)